Mein Vater hatte davon gehört, dass es so etwas wie einen Fernsehapparat geben sollte. Gesehen hat er noch keinen; und er kannte auch niemanden, der einen gesehen hatte. Mein Vater hatte noch kein Bild von einem Fernsehapparat gesehen, weder in einer Zeitung noch im Kino. Er hatte noch nicht einmal ein Kino besucht. Wie auch? In der Hauptstadt gab es gleich mehrere, aber die war 200 Kilometer entfernt. Eine Entfernung, die man nicht zum Vergnügen zurücklegte. Mit einem Fernsehapparat sollte die Entfernung keine Rolle mehr spielen. Das Wort war ein Versprechen: Fernsehapparat.
Sie saßen oft gemeinsam vor dem Radio. Mein Vater und sein Freund hörten sich gern Boxkämpfe an. Abends im spärlich beleuchteten Zimmer. Sie verabredeten sich dazu, wann immer es ging. Ihr Platz war ganz nah vor dem Radio. Hin und wieder musste nachgestellt werden. Wenn eine Empfangsstörung Worte verschluckte, wollten sie schnell am Suchrad sein. Für den Skalenzeiger war es nicht mal ein Millimeter, dann war die Stimme des Sportreporters wieder deutlich und klar.
Sie saßen vornübergebeugt; die Gesichter auf das Frequenzband gerichtet. Während sie dem Reporter lauschten, lasen sie – mal bewusst, mal unbewusst – die orange leuchtenden Namen der Städte: London, Paris, Bayreuth, Monte Carlo, Helsinki, Prag, Berlin, Königsberg, Rom, Bukarest, Cairo. In einem der Orte fand der Boxkampf statt; sie konnten den Namen auf der Skala lesen.
Sie stellten sich vor, wie es wäre, jetzt vor einem Fernsehapparat zu sitzen. Man sähe dann nicht nur den Namen der Stadt. Man sähe die Boxer! So musste es wohl sein, so musste ein Fernsehgerät funktionieren: Da, wo jetzt die Skala leuchtete, würde man die Boxkämpfer sehen.
Führte man den Skalenzeiger an die richtige Stelle, so würden sie erscheinen. Zwei sich bewegende Männer, orange leuchtend, vielleicht hinter den Schriftzügen der Städte- und Ländernamen, vielleicht davor. Im Licht der Skala würden sie vor- und zurückspringen, umeinander herum tänzeln, die Fäuste gegen den Gegner werfen, in Deckung gehen. Wir könnten mit eigenen Augen sehen, was der Sportreporter sieht. Im Licht der Senderskala. Stell Dir das vor! Mit Deiner Hand könntest Du die Rechte von Max Schmeling berühren.